14. August 2019 – Interview

«Das Theater ist ein Ventil für mich»

Zarina Tadjibaeva ist Dolmetscherin und Schauspielerin. Für ihr Theaterstück Verschtehsch – 1000 und 1 Fall einer Übersetzerin, das sie am 21. September am Loorentag aufführt, schöpft sie aus ihren Erlebnissen als Dolmetscherin beim Migrationsamt, vor Gericht und beim Psychologen. Im Interview erzählt sie von ihrer Verantwortung als Dolmetscherin und der Ohnmacht, das Sprachrohr anderer zu sein.

Zarina Tadjibaeva, welche Sprachen sprechen Sie?   

Meine Muttersprache ist Tadschikisch, daneben spreche ich Farsi und Dari – alle drei sind persische Sprachen. Ausserdem spreche ich Russisch, Deutsch und ein bisschen Englisch…

Sie sind Behördendolmetscherin und Schauspielerin. Das sind zwei sehr unterschiedliche Berufe. Welcher war zuerst da?

Dolmetscherin ist mein erster Beruf. Ich habe in Deutschland Übersetzen und Dolmetschen studiert und wurde bereits während des Studiums für Mandate angefragt. So bin ich in den Dolmetscherberuf reingerutscht. Zuerst arbeitete ich für eine Agentur, danach für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das Studium habe ich allerdings nie abgeschlossen – ich arbeitete ja bereits auf dem Beruf und dann kamen meine zwei Kinder «dazwischen». Inzwischen bin ich seit rund zwanzig Jahren als vereidigte, respektive akkreditierte Dolmetscherin für Gerichte und Behörden tätig – die letzten zehn Jahre in der Schweiz.  

Was hat Sie aus Tadschikistan nach Deutschland gebracht? Und danach in die Schweiz?

Nach Deutschland kam ich als Auslandstudentin für ein Praktikum. Damals habe ich Elektrotechnik studiert. Ich wollte dann plötzlich Übersetzen studieren und habe mich später an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken eingeschrieben. In die Schweiz kam ich vor zehn Jahren. Mein Mann ist Schweizer, es zog ihn aus beruflichen Gründen in die Heimat zurück. In Zürich besuchte ich dann die Schauspielschule. Seit 2012 bin ich Diplomschauspielerin. Daneben habe ich aber stets als Dolmetscherin gearbeitet.

Was hat Sie dazu bewogen, Ihre Erlebnisse als Dolmetscherin auf die Bühne zu bringen? 

Am Anfang des Stücks «Verschtehsch» stand ein negatives Erlebnis: Während einer Anhörung mit einem Asylbewerber erlebte ich die Behördenvertreterin als sehr gemein und rassistisch. Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte, war ich doch gefangen in meiner neutralen Rolle als Dolmetscherin und fühlte mich gleichzeitig als Sprachrohr missbraucht. Ich fand das so ungerecht. Ich dachte, ich platze! Das hat mich sehr belastet. Auf der Heimfahrt war mir klar: Das muss irgendwie aus mir heraus! So entstand die Idee, ein Theaterstück darüber zu schreiben... «Verschtehsch – 1000 und 1 Fall einer Übersetzerin».

Bringt Sie Ihr Dolmetscherberuf manchmal in ein Dilemma?

Ja, als Behördendolmetscherin darf ich weder helfen, noch hindern, ganz egal, was ich als Privatmensch denke oder fühle. Ich bin ja nur Sprachmittler, kein Anwalt. Meine Rolle ist es, möglichst klar und authentisch zu übersetzen, was die Beteiligten sagen. Das nehme ich sehr ernst, es ist eine Frage der Berufsethik. Ich bin als Dolmetscherin Teil eines Ganzen und trage grosse Verantwortung. Das liebe ich an diesem Beruf! Privat bin ich aber ein Mensch mit viel Zivilcourage. Auf der Strasse setze ich mich ohne zu zögern für Benachteiligte ein. Diesem Impuls kann ich in meinem Beruf nicht folgen, sonst würde ich keine Aufträge mehr erhalten.

Wie sind Sie bei der Produktion des Stücks «Verschtehsch» vorgegangen?

Zuerst schwebte mir ein Stück mit vielen Schauspielern vor. Der Regisseur Andrej Togni, mit dem ich bereits ein Bühnenstück über Religion realisiert hatte, überzeugte mich aber davon, dass ich alle Rollen selbst spielen sollte. Zuerst machte mir die Vorstellung Angst, einen Abend allein auf der Bühne zu bestreiten. Aber dann wurde mir klar: Ich bin ja nicht allein, meine Figuren sind bei mir! Andrej Togni half mir, die Dialoge zu schreiben. Es war mir wichtig, nicht in das vereinfachte Schema «böser Staat – armer Flüchtling» zu verfallen. Zudem wollte ich nicht nur Trauriges und Belastendes erzählen, sondern auch Lustiges. So haben wir das Stück um weitere Szenen aus meiner Dolmetschertätigkeit beim Psychologen, bei der Polizei und vor Gericht erweitert. Wir haben bei den Proben viel gelacht!

Wie waren die Reaktionen des Publikums?

Ich erhielt Standing Ovations! Das hat mir Mut gemacht. Ich war vor der ersten Aufführung unsicher, wie die Zuschauer reagieren würden, wenn sie sich selbst auf der Bühne wiedererkennen. Im Raum sassen ja sowohl Behördenvertreter als auch Flüchtlinge. Ich wollte in meinem Stück nicht unfair sein, aber scharf und kritisch, das schon. Manche Flüchtlinge sagten mir, dass sie froh sind, dass ich ihnen eine Stimme verleihe. Sie waren sehr berührt. Im Volkshaus habe ich einmal vor über 200 Behördendolmetschern und Mitarbeitern des Obergerichts gespielt. Am Ende hat mir manch einer bestätigt: Genauso ist es! Diese Anerkennung meiner eigenen Zunft bedeutet mir viel. Bei der Realisation des Stücks ging ich vorsichtig und genau vor, denn schliesslich muss ich mich als Dolmetscherin an das Berufsgeheimnis halten.

Wie haben Sie das gelöst?

Ich habe fiktive Figuren erfunden, zum Beispiel Olga und Lida, die verschiedene Typen der Dolmetscherin verkörpern. Lida ist eine neutrale Berufsdolmetscherin, wie ich eine bin. Olga, ebenfalls Dolmetscherin, nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie ist emotional, herzlich und ulkig, aber manchmal auch rassistisch. Alles, was die beiden sagen, hat sich aber wirklich so zugetragen.

Hat das Theater für Sie eine Art Ventil-Funktion?

Ja, absolut! Es sind ja manchmal sehr belastende Geschichten, die ich als Dolmetscherin zu hören bekomme. Zum Beispiel wenn es um minderjährige Flüchtlinge geht, deren Eltern im Mittelmeer ertrunken sind. Ausserdem dolmetsche ich auch in Therapie-Gesprächen des Ambulatoriums für Folter- und Kriegsopfer. Bei der Befragung eines zehnjährigen Mädchens aus Afghanistan, das von seinen Eltern jahrelang schwer misshandelt wurde, schloss die Staatsanwältin mit der formellen Frage, ob sie noch einen Wunsch habe. «Ich möchte nie wieder zu meinen Eltern zurück!», sagte das Kind. Ich habe nach diesem Gespräch stundenlang geweint.

Verfolgen Sie mit Ihrem Stück eine aufklärerische Absicht?

Aufklären wollte ich mit meinem Stück nicht, sondern einfach erzählen, was ich als Dolmetscherin erlebe. Aber die Wirkung hat sich dann doch als aufklärerisch herausgestellt. Die meisten Zuschauer sind berührt und manchmal auch geschockt. Das Stück beginnt mit lustigen Anekdoten, und dann gibt es einen Moment, wo einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Aber ich entlasse das Publikum nie traurig, sondern mit einem heiteren Abschluss. Das Stück ist eine Tragikomödie.

Welche Rolle hat Ihrer Meinung nach die Literaturübersetzung, wenn es um den Austausch zwischen den Kulturen geht?

Ich finde, sie hat eine wichtige Aufgabe, um sich mit anderen Kulturen und Mentalitäten vertraut zu machen. Bei der Literaturübersetzung ist der Interpretationsspielraum vermutlich grösser als beim Dolmetschen. Ich übersetze selbst persische und russische Lieder, die ich als Musikerin vortrage, ins Deutsche. Das Deutsche eignet sich gut, um Emotionales auszudrücken. Und es hat für mich eine besondere Bedeutung: Deutsch ist die Sprache, in der ich zum ersten Mal sagen konnte, was ich denke. Bevor ich mit zwanzig nach Deutschland kam, lebte ich in Tadschikistan. In dieser Kultur wird vieles nicht offen ausgesprochen. Das war für mich sehr anstrengend, denn ich bin ein Mensch, der gerade heraus ist – so wie die Deutschen! Einfach mal sagen zu können: «Das mag ich nicht» war befreiend.

Kurzbio:
Zarina Tadjibaeva (*1975) wuchs in der ehemaligen Sowjetrepublik Tadschikistan in Zentralasien auf. Danach lebte sie in Deutschland und seit 2008 in der Schweiz. Sie spricht fliessend Russisch, Deutsch und Persisch sowie Schweizerdeutsch. Sie arbeitet seit zwanzig Jahren als Behördendolmetscherin im Asylwesen. Im zweiten Beruf ist sie Schauspielerin und Sängerin. Zarina Tadjibaeva lebt mit ihrer Familie im Kanton Zürich. www.zarina.ch http://verschtehsch.net

«Verschtehsch – 1000 und 1 Fall einer Übersetzerin» wird am Loorentag am 21. September im Übersetzerhaus Looren in Wernetshausen aufgeführt. 

Melden Sie sich jetzt an! > www.looren.net/loorentag

Die Platzzahl ist beschränkt. Wir berücksichtigen die Anmeldungen in der Reihenfolge des Eingangs.

Zarina Tadjibaeva im Garten des Übersetzerhauses Looren.

Interview und Foto Garten: Janine Messerli, Übersetzerhaus Looren; 

Bühnenfoto (oben) aus der Produktion «Verschtehsch»: www.fotozug.ch

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